R. Gottschalk: Römer und Franken in Hürth

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Titel
Römer und Franken in Hürth.


Autor(en)
Gottschalk, Raymund
Reihe
HÜRTHER BEITRÄGE zur Geschichte, Kultur und Regionalkunde 93
Erschienen
Anzahl Seiten
203 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Binsfeld, Alte Geschichte, Université du Luxembourg

Die vorliegende Publikation ist ein Beitrag zur Stadtgeschichte von Hürth, herausgegeben vom Heimat- und Kulturverein Hürth. Sie richtet sich an interessierte Bürgerinnen und Bürger, aber auch an ein überregionales (Fach-)Publikum. Zwar wurden die archäologischen Fundstellen im Stadtgebiet des modernen Hürth sowohl in heimat- und regionalkundlichen Veröffentlichungen als auch in archäologischen Fachpublikationen behandelt, eine Monographie zur römischen und fränkischen Archäologie und Geschichte der Stadt Hürth fehlte bislang jedoch.

Der gewählte Untersuchungsraum ist modern. Die Großgemeinde Hürth entstand erst 1930 durch den Zusammenschluss mehrerer Gemeinden und erhielt 1978 das Stadtrecht. In der Antike gehörte das Untersuchungsgebiet zum Verwaltungsgebiet der Provinzhauptstadt Köln. Geprägt war die Region durch landwirtschaftliche Nutzung und durch ein dichtes Netz römischer Villen. Eine städtische Ansiedlung konnte bis heute noch nicht archäologisch nachgewiesen werden. Ob die auf der Tabula Peutingeriana verzeichnete Ortschaft M(…)nerica im Stadtgebiet von Hürth zu lokalisieren ist, wird von Raymund Gottschalk erwogen, bleibt aber insgesamt gesehen unsicher. Interessant ist, dass Gottschalk in seinem Buch eben nicht das Zentrum Köln in den Blick nimmt, sondern ein Gebiet an der Peripherie. Er schreibt die Geschichte einer Region mit ihren Besonderheiten, ohne den überregionalen Kontext zu vernachlässigen. Auf diese Weise erschließt Gottschalk dem Leser das Leben in einem ländlichen Raum im Umfeld der Provinzhauptstadt Köln vom 1. Jahrhundert bis ins Mittelalter hinein und zeigt sowohl Kontinuitäten als auch den Wandel auf.

In sieben Kapiteln fasst Gottschalk die Grabungs- und Forschungsergebnisse zusammen und präsentiert anschaulich die interessantesten Ausgrabungen und Fundstücke. Die Kapitel sind chronologisch und thematisch nach den wichtigsten Funden und Befunden gegliedert: Die römischen Straßen und Wasserleitungen, Villen, Gräber, Monumente der Götterverehrung, Gräber und Grabinventare bilden die wichtigsten Quellen und Themen, vor allem für die römische Zeit, die den größten Teil des Buches einnimmt.

Das Gebiet von Hürth lag an der Fernstraße Trier – Köln. Auf über 8 Kilometern durchzog diese Straße das heutige Stadtgebiet. Den Römerstraßen ist auch das erste Kapitel des Buches gewidmet („Auf dem Weg in die Zukunft – die Römerstraßen“) – kombiniert mit einem geschichtlichen Abriss, der die Bedeutung der Straßen für Militär und Handel vom 1. bis ins 4. Jahrhundert n.Chr. veranschaulicht. Gottschalk beschreibt, wo man Abschnitte der großen Fernstraße, der sogenannten Agrippastraße, aber auch von kleineren Nebenstraßen gefunden hat und präsentiert interessante Funde, wie zum Beispiel einen Leugenstein, der etwas außerhalb des Hürther Stadtgebietes gefunden wurde.

Neben dem Bau von Straßen gehört auch die Anlage von Wasserleitungen zu den wichtigen infrastrukturellen Maßnahmen, die die Römer in den von ihnen neu gewonnenen Gebieten initiiert haben. Im zweiten Kapitel („Von der Lebensader zur Teufelsrinne – die römische Wasserleitung“) werden die beiden Hauptwasserleitungen, die durch das Hürther Gebiet nach Köln führten, vorgestellt: die Vorgebirgswasserleitung und die Eifelwasserleitung. Gottschalk geht dabei nicht nur auf den Verlauf der Wasserleitungen ein, sondern gibt interessante technische Informationen zu deren Bau und über die Wasserversorgung im Allgemeinen.

Im dritten Kapitel („Römische Villen und die Besiedlung des Hürther Stadtgebietes“) gibt Gottschalk einen Überblick über die eisenzeitliche und römische Besiedlung des Hürther Stadtgebietes. So sind eisenzeitliche Siedlungsspuren erhalten, eine ununterbrochene Besiedlung bzw. Kontinuität bis in römische Zeit kann auf Grundlage der wenigen Funde und Befunde jedoch nicht nachgewiesen werden. Die ältesten römischen Funde aus Hürth gehören der Mitte bzw. der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. an, einer Zeit, in der allgemein ein Bevölkerungszuzug zu verzeichnen ist. Es wurden Mehrhausgehöfte angelegt, wie sie aus Nordfrankreich und Belgien bekannt sind. Die ersten römischen Villen, die teilweise oder ganz in Steinbauweise ausgebaut waren, stammen aus den 70er-Jahren des 1. Jahrhunderts n.Chr. und wurden wahrscheinlich von Veteranen errichtet. Für die Wirtschaftsgeschichte des Landes interessant ist die Beobachtung Gottschalks, dass die Abstände zwischen den Villen im Bereich der Ortschaften Fischenich und Kendenich zwischen 350 und 800 Metern liegen, so dass man offenbar von einer systematischen Verteilung von Gutshöfen auf dem Land im Umfeld von Köln ausgehen kann. Dies entspricht Beobachtungen, die man auch an anderer Stelle, wie zum Beispiel im Hambacher Forst, gemacht hat. Wenig anschaulich bleiben allerdings Aussehen und Verteilung der Villenanlagen. Es wird nur ein Plan einer ergrabenen Villa beigegeben. Da sich der Band auch an interessierte Laien richtet, würden Pläne und Rekonstruktionen für größere Anschaulichkeit sorgen. Für das Fachpublikum fehlt dagegen neben den Plänen auch die typologische Einordnung der Villen. Hilfreich wäre auch eine gute Kartierung der Fundstellen oder eine übersichtliche Auflistung der Villen. Eine Abbildung (Abb. 44) gibt nur eine Detailkartierung an und auf der einzigen – kleinen – Übersichtskarte auf Seite 5 (Abb. 2) werden in der Legende die Villen irritierenderweise als Siedlungen bezeichnet.

Das folgende Kapitel behandelt die Monumente der Götterverehrung („Unter dem Schutz der Götter“). Dieses gibt eine gute Übersicht über die wichtigsten Zeugnisse der Götterverehrung, die im Hürther Stadtgebiet gefunden wurden: Es überwiegen eindeutig die Zeugnisse der Jupiter-Verehrung sowie einheimischer Gottheiten, wie der Matronen.

Das umfangreichste Kapitel des Bandes ist der ergiebigsten Quellengattung gewidmet: den Gräbern („Gräber – ein Fenster in die Vergangenheit“). Gräber geben nicht nur Auskunft über Bestattungssitten, sondern auch über den gesellschaftlichen Status der Verstorbenen, über gesellschaftliche Normen, persönliche Vorlieben und über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Familien. Die Präsentation besonderer Grabbeigaben, wie Gläser, Parfüm, Schmuck, Kämme, Kosmetik, Keramik, Nahrungsmittel (Hühnerfleisch und Gänseeier), Kleidung und Tracht (Gürtel, Fibeln, Schuhe), Schreibgeräte, Spinnrocken und Münzen geben interessante und anschauliche Einblicke in Bestattungsbräuche und den Alltag der Verstorbenen. Am Beispiel des Gräberfeldes Hermülheim zeigt Gottschalk, welche Rückschlüsse anthropologische Untersuchungen auf die Zusammensetzung einer Gemeinschaft erlauben und dass sie auch Aussagen zur Migration (Nachweis von germanischen Zuwanderern) zulassen.

Im Stadtgebiet von Hürth hat sich auch ein Zeugnis der sogenannten Krise des 3. Jahrhunderts und aus der Phase des Übergangs von der Spätantike zum Mittelalter erhalten: Es handelt sich um eine Befestigungsanlage, einen sogenannten burgus, der zum Schutz der Straßen gegen Germaneneinfälle angelegt worden war („Krisenfest? – der spätrömische burgus beim Villenhaus“).

Das Buch schließt mit einem einen kurzen Abriss über die Zeit der Franken („Der Beginn des Mittelalters – die Franken“). Hier ist die zentrale Frage, inwieweit die merowingisch-fränkischen Siedlungen auf römerzeitliche Strukturen zurückgehen bzw. die heutigen Ortsteile aus fränkischen Vorgängersiedlungen hervorgegangen sind. Die Bevölkerungsstruktur hatte sich schon im Laufe des 4. Jahrhunderts durch den Zuzug von Germanen, die im römischen Militär dienten, verändert. Im Verlauf des 5. Jahrhunderts nahm die Bevölkerungsdichte ab, die Landwirtschaft kam in dieser Zeit fast zum Erliegen. Siedlungskontinuität bestand jedoch in Ortschaften wie Köln, in Militärlagern und befestigten Siedlungen. Mit dem Beginn der Herrschaft der Merowinger nahm die Bevölkerungsdichte wieder zu, was sich im Fundmaterial, in erster Linie in den Grabfunden, widerspiegelt. Die ältesten datierbaren Funde aus dem Hürther Stadtgebiet stammen aus der Zeit um die Mitte und der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Gottschalk kommt zu dem Schluss, dass „sich für keinen Fundplatz eine direkte Kontinuität von der Römerzeit ins Frühmittelalter nachweisen“ (S. 174) lässt, dass die Besiedlung aber wohl nicht ganz abgebrochen zu sein scheint.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Raymund Gottschalk einen anschaulichen Beitrag zur Regionalgeschichte Hüths vorlegt. Ein wesentliches Manko des Bandes besteht meines Erachtens darin, dass eine gute kartographische Darstellung der Funde fehlt, die es auch dem nicht ortskundigen Leser erlauben würde, Fundstellen im Hürther Stadtgebiet zu lokalisieren. Hin und wieder unterlaufen dem Autor auch Ungenauigkeiten. Der Sextius Valerius Felicius in der Inschrift auf Seite 74 ist wohl eher ein Sextus Valerius Felicio. Bei dem Soldat mit Lanze von einem Reitergrabstein aus Gleuel (S. 94f., Abb. 70) handelt es sich eher um einen Pferdeburschen. Abgesehen von den kleinen Kritikpunkten ist es Raymund Gottschalk in dem Band gelungen, durch die Bebilderung und seinen Fokus auf alltagspraktische Fragen das Leben im Umland von Köln anschaulich darzustellen und die Funde und Befunde zum Sprechen zu bringen.